Updaten, updaten, updaten

Ja, so manches OS-Update kann so richtig nervig sein. Eigene Konfigurationen werden ungefragt auf Defaultwerte gesetzt, die CPU läuft auf einmal, bei den selben Aufgaben wie zuvor, unter mehr Last und der Arbeitsspreicher könnte nu auch noch ein Upgrade vertragen. Doch in seltenen Fällen, wenn man Glück hat und die OS-Götter einen guten Tag erwischt haben, laufen  danach alle Applikationen störungsfrei. Vermutlich geht es den meisten Funkamateuren wie mir: Vor einem Update steigt Puls und Blutdruck proportional.

 

Ein anderes Update, dass ich wöchentlich durchführe, verhält sich in 99% der Fälle immer positiv. Es belastet das System kaum messbar und verhindert sogar negative Effekte. Im Gegenteil: Um so regelmässiger dieses Update durchgeführt wird, um so besser für den Funkamateur. Ok, viele denken jetzt an die Synchronisation der Systemzeit, damit FT-8 und andere zeitsynchronkritische digitale Betriebsarten auch weiterhin rund laufen. Was für die digitalen Betriebsarten eine korrekte Systemzeit ist, sind für die Bahnverfolgungsprogramme der Satelliten die Keplerdaten (- und auch ein wenig die Systemzeit). 

 

Bevor es Programme zur Berechnung der Überflugsdaten der Satelliten gab, wurden die Bahndaten durch Vermessung  und Peilung der Bake ermittelt. Für die Visualisierung behalf man sich mit einem Hilfsmittel, das man "Oscar Locator" nannte. Als Grundlage diente eine Polar-Weltkarte, auf welchen man transparente Layers der Satellitenbahnen legte, wie folgendes Bild zeigt:


Quelle: AMSAT-NA. https://www.amsat.org/amsat-new/tools/index.php

Für jeden Satellit und Überflugtyps musste man einen eigenen Layer auf Transparentfolie erstellen. PE1RAH unternahm vor einigen Jahren eine Satelliten DX-Expedition quer durch Euopa. Das war noch zu einer Zeit, als es noch keine Smartphones gab.  Notebooks waren noch sehr schwer im Gewicht und auch kaum bezahlbar. Er hat auf seiner Webseite eine Bastelanleitung für einen Oscar Locator erstellt. Ein prima Instrument, um sich mit der Thematik weiter auseinander zusetzen.

W9KE ist einen Schritt weiter gegangen, und hat den Oscar Locator quasi digitalisiert, indem er ein entsprechendes Programm geschrieben hat.

 

Allgemein wird der Funkamateur darauf hingewiesen und gebeten, doch stets die Keplerdaten zu erneuern. Das war "früher" gar nicht so einfach und mir viel Arbeit verbunden Im vergangen Jahrhundert wurden die Kepler-Datensätze der damals noch überschaubaren Flotte von Amateurfunksatelliten in den Fachzeitschriften veröffentlicht. Die Funkamateure waren bedacht, die Daten akkurat im Rechnern zu erfassen und waren danach froh, wenn sie keinen Tippfehler in den endlosen Zahlenreihen erfasst hatten. Wer über genügend Endlospapier verfügte, hat die Daten für mehrere Wochen mit dem Nadeldrucker ausgedruckt. Es dauerte dann auch noch meistens vier Wochen bis zur nächsten Ausgabe der jeweiligen Zeitschrift. Bis dahin waren die Keplerdaten bereites wieder veraltet. Eine Wohltat, wer ab den 90er Jahren via Packet-Radio Zugriff auf die aktuellsten Daten hatte.

 

Nach den Überflugszeiten der Satelliten könnte man die Uhr stellen, sollte man meinen. In der Tat ist der Gedanke nicht ganz abwegig. Denn im luftleeren Raum fliegen die Satelliten in konstanter Geschwindigkeit um die Erde. Nunja, wenn man minutengenau sein möchte, funktioniert das sehr gut mit dem Zeitabgleich. Doch sekundengenau?

 

In der Theorie wäre es tatsächlich so: Wenn ein Satellit um eine perfekte Kugel im luftleeren Raum mit konstanter Geschwindigkeit kreisen würde, dann könnte man wohl die Uhr sogar im Nanosekundenbereich danach stellen. In diesem theoretischen Fall müssten wir die Keplerdaten auch nur ein einziges mal definieren. Doch in der Praxis ist die Erde keine perfekte Kugel und im Orbit bläst den Satelliten auch ein ordentlichen "Wind" um die Ohren. Bahnstörungen unterschiedlicher Natur verursachen eine Menge Abweichungen zu den Soll-Parameter.

 

Unter Bahnstörung zählen mehr Faktoren, als es uns lieb ist: Schwerefeldvariation, Einfluss anderer Himmelskörper, Wechselwirkung mit der Atmosphäre, Strahlungsdruck, Wärmestrahlung, Elektromagnetische Wechselwirkung und man höre und staune, Einsteins allgemeinen Relativitätstheorie steuert auch noch ein paar weitere Faktoren hinzu: Da wären die Zeitdilatation, Raumkrümmung und Lense-Thirring-Effekt... - ja, ich gebe zu, besonders die letzten drei Punkt habe ich aus Wikipedia abgeschrieben :-) Und das verdeutlicht deren Wichtigkeit für den gemeinen Funkamateur: Gerade die relativistischen Effekte sind für uns absolut vernachlässigbar und werden bei normalen Amateurfunkanwendungen kaum messbare Auswirkungen haben. Aber der Artikel dazu auf Wikipedia empfehle ich sehr zum Nachlesen. Er ist sehr spannend und lehrreich.

 

Was uns jedoch wohl am Meisten beschäftigt, sind bei tieffliegenden Satelliten der Effekt der Schwerefeldvariationen. Die Erde ist nicht rund. (Nein die Erde ist keine Kugel, aber auch nicht flach - aber halt keine perfekte Kugel). Hier der Blick auf unsere Erde mit der Antarktis im Zentrum. Die ungleiche Masseverteilung führt zu unterschiedlichen Schwerefeldern unseres Planeten. Die gravitativen Einflüsse sind unterschiedlich und stören so die Satellitenbahn.

Southern ocean gravity hg.png
Von Hannes Grobe, AWI - Antarctic continent: own work; gravity field: NOAA/NGDC (Marks, McAdoo & Smith), Gemeinfrei, Link

Eine Bemerkung am Rand: Das obige Bild wurde vom AWI angefertigt. Dem Alfred-Wegener-Institut. Jener Organisation, welche die Neumayer III Station in der Antarktis betreibt, und von wo aus auch eine Bodenstation zu QO-100 der AMSAT-DL betrieben wird.

 

Mit den gravitativen Kräften ist es noch nicht vorbei. Jetzt spielt zusätzlich auch die Erdatmosphäre eine Rolle. Bis über 600km Höhe reicht die Restatmosphäre der Erde. Die Satelliten reiben sich bei ihren Durchflügen an deren Molekülen und werden dadurch abgebremst.

Weiter stört der Strahlungsdruck der Sonne den Satelliten. Die Strahlung drückt und schiebt am Satellitenkörper was diesen ebenfalls vom Kurs abbringt. Sonne und Mond wiederum zerren ganz gehörig durch ihre Gravitationskraft an der Satellitenbahn (ok, richtigerweise muss es "am Satelliten" heissen), und verformen dadurch den Orbit, was von den Betreibern und Benutzern hie und da unterschätzt wird. Auch bei den hochfliegenden oder geostationären Satelliten wirken nämlich diese Kräfte. Die AMSAT musste dise schmerzlich bei AO-13 feststellen: Der Orbit wurde durch Sonne und Mond in die Länge gezogen. Dadurch geriet das Perigäum (Erdnächster Punkt) zu nah an unseren Heimatplaneten. Der Satellit verglühte dadurch viel zu früh.

 

Es ist mit den Bahnstörungen noch nicht vorbei: Da die Erdachse 23°27' zur Ekliptik (Ebene unseres Sonnensystems) steht, haben wir auch noch ein wenig Unruhe in den Orbits durch die so genannte Knotendrehung. Die betrifft auch die geostationären Satelliten. Diese driften durch Einfluss der Knotendrehung immer leicht umher und müssen aktiv stabilisiert werden. Ausnahme: 105° West und 75° Ost sind die stabilsten Positionen im geostationären Orbit. Hoffen wir also, dass die Erdachse schön stabil bleibt, sonst fliegen uns die Satelliten (und weiss Gott was alles) um die Ohren.

 

Die Satellitenbahnen werden regelmässig durch die NORAD veröffentlicht. Nicht jedes Objekt wird wöchentlich vermessen. Die Daten werden aber mit sehr guten Algorithmen extrapoliert. 

 

Regelmässige Updates der Keplerdaten sind also wichtig. Besonders bei tieffliegenden Satelliten, welchen den Bahnstörungen besonders stark ausgeliefert sind. Ab 4 Wochen merkt man bereits die Abweichungen deutlich. Wöchentliche Updates sind daher optimal. Erst recht bei der Raumstation ISS, welche Ihre Bahn selbständig, aktiv verändern muss. Durch ihre Grösse ist sie den Störeffekten besonders ausgeliefert. Etwa 40m Höhe verliert die ISS pro Erdumrundung. Dadurch muss die Orbitalhöhe regelmässig wieder angehoben werden. Nach einem solchen Manöver sind die Abweichungen der Überflugszeiten im zweistelligen Minutenbereich.

 

Die von der NORAD ermittelten Daten werden über die Plattform Space-Track des 18th Space Control Squadron veröffentlicht. Um die Daten von dieser Quelle zu erhalten, muss man sich als Benutzer kostenlos registrieren lassen.

Als offizieller Datendistributor der NORAD ist Celestrak eine gute alternative Quelle, da hier kein Login verwendet werden muss. Auch die AMSAT stellt Keplerdaten, ausschliesslich für die Amateurfunksatelliten und ISS, zur Verfügung.

Hierzu einen Hinweis: Die Keplerdaten von AMSAT benutzen als Name des Satelliten die von der AMSAT zugeteilten OSCAR Bezeichnungen. z.B. QO-100. In Celestrak und bei "Space-Track" werden jedoch die Ursprungsbezeichnungen verwendet. Im Falle von QO-100 ist es  "Es'hail-2". Je nach dem von welcher Quelle man die Keplerdaten bezieht, kann es sein, dass man einen Satelliten in der Übersichtsliste des Bahnverfolgungprogramms nicht findet.

Da Sat-Track als einer der Urquellen von Keplerdaten gilt, kann man auch davon ausgehen, dass man von dieser Plattform die aktuellsten Daten erhält.

  

Also: updaten updaten updaten.

 

Ausblick:

Im kommenden Blogeintrag geht es um die Sequence-Steuerung im Satellitenbetrieb. 

 

Quellen:

Kepler Daten direkt von Space Track: https://www.space-track.org/

Kepler Daten von AMSAT: https://www.amsat.org/keplerian-elements-resources/

Oscar Locator von PE1RAH: https://www.qsl.net/pe1rah/oscarlator.htm

Applikation Oscar Locator von W9KE: http://www.tomdoyle.org/OscarLocator/OscarLocator.html

Bahnstörungen bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnst%C3%B6rung

Störgrössenberechnung von Franz Bellen DJ1YQ: http://dj1yq.homepage.t-online.de/P3-Stoergroessenberechnung.pdf

 

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